Dies ist eine radikale Kurzfassung zum Thema
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Warum
zerstören Borkenkäfer unsere Wälder ?

von Helmut Klein (1993)

[Dieser Beitrag wurde, etwas verändert, übernommen aus dem Buch "Kein schöner Wald",
herausgegeben von Hamberger, Sylvia, O. Baumeister und W. Zängl, im Rabenverlag München 1993.]

Seit 1992 sterben in Deutschland, Österreich und der Schweiz in bisher nicht gekanntem Ausmaß Fichtenbestände nach Borkenkäferbefall. Die wichtigste Rolle spielt dabei der Buchdrucker (Ips typographus), der als Bewohner der Fichte über Jahrmillionen zusammen mit ihr vorkam. Neben dem Buchdrucker spielen bei der Fichte und anderen Baumarten noch andere Borkenkäfer eine Rolle als "Verursacher" ungewöhnlicher Schäden. Für die folgende Betrachtung soll aber ausschließlich der Buchdrucker als Beispiel für allgemeine ökologische Zusammenhänge dienen.

Ein wichtiger Grund für die besonderen Probleme der Fichte mit dem Buchdrucker ist die Folge von 200 Jahren unbiologischer Fichtenkultur durch Förster, die nicht auf die 120 Jahre währenden Warnungen von Ökologen hören wollten und selbst nicht zu aufmerksamer Beobachtung ihrer Bestände in der Lage waren. Als Folge davon steht die Fichte heute sehr oft auf ungeeigneten Standorten. Dort ist sie aber besonders empfindlich, weil die Bedingungen für sie nicht optimal sind.

Das normale Verbreitungsgebiet der Fichte ist über 700 - 800 m Meereshöhe. Tiefer kommt sie nur auf kalten Standorten wie Mooren vor. Auf den natürlichen Standorten für Fichte und Buchdrucker (!) war der Buchdrucker nie ein Problem. Da er zum Hochzeitsflug etwa 18°C braucht, hatte er unter normalen Bedingungen fast nie eine Chance, mehr als einen Fortpflanzungszyklus, eine Generation pro Jahr zu vollenden. Ein Weibchen brachte dabei etwa 20 junge Weibchen. Die theoretische Vermehrungsrate war 1:20. In nasskalten Sommern dürfte es nur zu einzelnen Bruten und kleinräumig sogar zum völligen Brutausfall gekommen sein. Damit war der Buchdrucker normalerweise kein "Schädling", weil er keine Bestände und kaum jemals einen scheinbar gesunden Baum umbrachte.

Aber auch die Mischung der Wälder aus verschiedenen Baumarten und Altersklassen spielt eine wichtige Rolle. In den unteren 500 Höhenmetern der natürlichen Fichtenverbreitung stand die Fichte immer nur einzelbaumweise oder horstweise im artenreichen Bergmischwald zusammen mit Buche, Tanne, Bergahorn, Vogelbeere, Mehlbeere, Aspe und sehr vielen anderen Pflanzen und Tieren. Von den Fichten wiederum war immer nur ein Teil groß genug, dass sie als Brutbäume für den Buchdrucker geeignet waren. In solchen artenreichen und reich strukturierten Ökosystemen kommen Massenvermehrungen schon auf Grund der geringen Dichte bruttauglicher Fichten und des vielfältigen ökologischen Netzes kaum vor. Viel zu viele Antagonisten kontrollieren seine Anzahl.

Ein Beispiel für einen wirksamen Antagonisten der Borkenkäfer im natürlichen Verbreitungsgebiet der Fichte ist der Dreizehenspecht. Er ist ein Borkenkäferspezialist und gleichzeitig auf das Vorkommen von stehendem Totholz angewiesen. Dieser Hautarzt der Fichte konnte die riesige Ausweitung der Fichtenverbreitung bis auf Meereshöhe während der letzten 200 Jahre nicht mitmachen, weil dort nicht alle Voraussetzung für sein Fortkommen gegeben sind. Ähnliches gilt sicher für viele andere Borkenkäferantagonisten aus den Gruppen der Vögel, Insekten, Pilze, Bakterien und Viren. Unser Wissen über solche Zusammenhänge in unseren Wäldern ist leider viel schlechter als unsere Kenntnis der Geographie der Rückseite des Mondes.

In älteren Fichtenforsten ist das "Angebot" von Fichten ausreichender Dimension dramatisch erhöht und das anderer Baumarten und Altersklassen, welche die Lebensgrundlage für Buchdruckerantagonisten bilden könnten, dramatisch reduziert.

Unter dem milden Klima des Tieflandes haben die Borkenkäfer schon bei normalen Klimabedingungen oft Jahre, deren Sommerhalbjahre so warm sind, dass sie zwei Vermehrungszyklen erfolgreich entwickeln können. Die Frühjahrsbrut pflanzt sich noch in ihrem Geburtsjahr fort. Die Vermehrungsrate ist dann theoretisch etwa zwanzig mal so groß wie im Normalfall, also 1:400.

Eine ganze Reihe weiterer Begünstigungen der Borkenkäfer resultiert aus der Schadstoffbelastung der Luft.

Wenn gesunde Fichten vom Borkenkäferweibchen angebohrt werden, sondern sie Harz ab. Das Borkenkäferweibchen bekommt die Mundwerkzeuge voller Harz und gibt auf oder kommt um, falls es nicht gleich aus angeborenem "Wissen" (Instinkt) den gesunden Baum meidet. Immissionsgeschädigte Fichten harzen schlecht oder nicht. So ist ihre Abwehr wesentlich geschwächt und der Buchdrucker begünstigt.

Wenn die Kronen von Fichtenbeständen als Folge von Schadstoffeinwirkung verlichten, kann die Sonnenstrahlung in den Bestand eindringen, und weil gleichzeitig der Wind noch abgebremst wird, kommt es zur Bildung warmer Nischen im sonst kühlen Waldbestand. Als Folge davon wird die für den Buchdrucker kritische Temperatur von etwa 18°C im Frühjahr zeitiger und im Herbst noch später erreicht als "normal". Damit hat der Käfer in immissionsgeschädigten Beständen eine weitere Begünstigung. Die Chancen für eine zweite oder gar dritte Generation steigen weiter.

Von immissionsgeschädigten Fichten wissen wir, dass sie auch wesentlich weniger standfest sind als gesunde. Die Wurzeltiefe nimmt unter dem Einfluss von Bodenversauerung und Ozon ab. Die Feinwurzelmasse wird unter der Wirkung von Bodenversauerung und Schwermetalleintrag weniger, und die Stammform ändert sich zu höheren Massenanteilen im oberen Stammbereich. Die Bäume werden "kopflastiger". Infektionen mit holzzersetzenden Pilzen wie Rotfäule der Fichte nehmen als Folge der Wurzelschäden zu. Damit aber sind die Bestände anfälliger für Schäden durch Stürme und Schneedruck.

Solche Schädigungen behindern außerdem die Wasserversorgung der Bäume erheblich. Dazu kommt noch, dass Schwefeldioxid, Stickoxide und Ozon die Schließzellen der Spaltöffnungen an Nadeln und Blättern vergiften. Der Baum kann dadurch auch noch seine Wasserabgabe nicht mehr wirksam vermindern. Er wird zu trocken und das begünstigt den Käferbefall. Verstärkt wird diese Austrocknung noch dadurch, dass die Bestände aus den oben geschilderten Gründen an vielen Stellen durch Wind und Schneebruch aufgerissen werden. Dabei entstehen im Holz Risse, die den Wassertransport noch weiter erschweren. Dazu kommt dann noch die beschriebene Änderung des Bestandes-Innenklimas unter dem die Bäume leben. Für Bäume, die im Bestandesinneren herangewachsen sind, war das Klima immer relativ kühl, dunkel, feucht, und windstill. Daran hatten sie sich im Lauf ihres Lebens angepasst (Modifikation). Solche Bäume stehen dann plötzlich frei, vielleicht sogar am südexponierten Rand eines Windwurfloches mit seinem besonders warmen Kleinklima. Ihre Belastung ist extrem, und gleichzeitig haben die Borkenkäfer, wie geschildert, nochmals weiter verbesserte Bedingungen.

Wenn man nun noch bedenkt, dass als Wirkung der massenhaft emittierten Treibhausgase die mittlere Jahrestemperatur global und in unserer Region deutlich steigt und die Häufigkeit und Stärke von Stürmen deutlich zugenommen hat, so wird endgültig klar, dass nicht der Borkenkäfer, sondern der Mensch der größte Waldschädling ist, zumal grundsätzlich ähnliche ökologische Zusammenhänge auch bei der derzeitigen Massenvermehrung vieler anderer Waldinsekten eine Rolle spielen.

Das theoretische jährliche Vermehrungspotential ging als Folge aller dieser veränderten Bedingungen von etwa 1:20 auf mindestens 1:10.000 und dem ist natürlich kaum ein Regelungsmechanismus gewachsen.

Was aber tun nun jene, die die politische Verantwortung für die Umweltpolitik in diesem unserem Lande haben? Sie genehmigen Millionenbeträge aus Steuergeldern für die "Rettung" unserer Wälder und der Holzpreise, indem sie Fördermittel für den Bau von weiteren Forststraßen bereit stellen und deren Bau ohne sorgfältig abgestimmte Planung durchziehen. Gerade diese Trassen werden aber unsere Wälder weiter aufreißen und damit die Angriffsmöglichkeiten für Stürme und Borkenkäfer noch weiter verbessern.

Sie setzen auch, zum Teil gegen eine heftig widerstrebende Fachverwaltung, den Einsatz von Gift gegen sogenannte Schädlinge durch und leugnen beharrlich, dass sie damit nur weitere Löcher in das geschwächte Netzwerk des Lebens reißen.

Der Bayerische Ministerpräsident Stoiber und sein Forstminister Bocklet riefen sogar im Mai 1994 die Bundeswehr in d en Bergwald zur Hilfe gegen den vermeintlichen Feind, jenen kleinen Käfer, den sie riefen, und den sie jetzt, ohne das direkte oder indirekte Eingeständnis ihrer Schuld, nicht los werden. Die Soldaten sollen an der "Borkenkäferfront" helfen, die befallenen Fichten rasch zu beseitigen. Dabei sind diese kleinen Angehörigen des Bergwaldes doch nur Bioindikatoren, die durch ihre Massenvermehrung anzeigen, dass die Verhältnisse für die Fichte endgültig unerträglich geworden sind. Dass sie sich daneben auch noch - weithin sichtbar - aktiv am Umbau der nicht mehr (noch nie?!) standortstauglichen Forste beteiligen ist natürlich eine politische Demonstration, die unter der Herrschaft der Bayerischen Staatsforstverwaltung nicht toleriert werden kann.

Und hier gibt's noch ein Zitat zum Thema von Prof. Wislicenus 1912


und eines von Prof Karl Gayer 1886

Jetzt will ich die Langfassung doch haben


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